Verloren im Niemandsland by Clemens Maria Heymkind

Verloren im Niemandsland by Clemens Maria Heymkind

Autor:Clemens Maria Heymkind [Heymkind, Clemens Maria]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rombach Verlag KG
veröffentlicht: 2015-10-15T16:00:00+00:00


Suche Liebe

Wieder einmal konnte ich nicht einschlafen: Eine Gedankenwelle, wie eine Sturmflut, hatte mich erfasst. Ich spürte, wie mein Blut durch den Körper strömte und ihn dabei unter Spannung setzte. Gedankenfetzen an Eva und Hubert kamen und gingen. Ich dachte mal an Clara, dann an die bruchstückhaft auftauchenden Gesichter meiner anderen Geschwister. All jene waren mir fern. Dann sah ich mich in der Badewanne sitzen, wie das eiskalte Wasser sich über mich ergoss. Ich war auf dem besten Weg, wahnsinnig zu werden. Auf diese Weise löste eine Flutphase die nächste ab. Meine Gefühle gönnten mir nur kurze Pausen.

Dann dachte ich an Schwester C., die ihr Zimmer direkt neben unserem Schlafsaal hatte. Ich blickte immer wieder zu der gegenüberliegenden Wand mit dem eingelassenen Fenster. Schwester C. schien noch wach zu sein, denn das Licht in ihrem Zimmer brannte. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn, warf meinen Kopf zurück aufs Kissen, als die nächste Gefühlserschütterung einsetzte. In mir tat sich eine tiefe Sehnsucht nach Liebe und Nähe auf, die ich in einer solchen Intensität noch nicht bewusst erlebt hatte. Der chronische Mangel an Zuwendung und Nähe zeigte in dieser Nacht seine verheerenden Auswirkungen. Mir war, als hätte man mich bei lebendigem Leibe gehäutet, so schutzlos fühlte ich mich. Tief in mir spürte ich Eiseskälte. Sie schien alles Lebendige in mir ganz langsam einzufrieren. Dann tauchte vor meinen Augen wieder die fiese Fratze von Schwester C. auf, die mich hässlich angrinste. Voll Panik begann ich zu weinen. Paul, dessen Bett längs an meiner Kopfseite stand, begann in diesem Moment meinen Kopf einen kurzen Augenblick zu streicheln. Ich drückte mein mit Tränen benetztes Gesicht ins Kopfkissen und schrie aus voller Kehle meine Verzweiflung heraus. Paul wusste, wie es mir gerade ging. Nun war ich einer von ihnen, denn unter den Buben kam es öfters vor, dass einer ins Kissen schrie und weinte. Und obwohl man sonst hart sein musste, wurde dies verstanden und akzeptiert.

Die nächste Flutwelle brachte mir Bilder, wie ich Schwester C. langsam und mit voller Hingabe an ein hölzernes Kreuz schlug. Das Kinderheim St. Niemandsland und die St. Vincenzskirche waren voll von Kreuzen. Sie schrie vor Schmerzen und Todesangst, genauso wie ich sie an jenen Bettpissertagen, als ein erlauchter Kreis von Buben mich auf die Holzbank zerrte und mit den Pantoffeln auf mich einprügelte, oft hatte aushalten müssen. Nun aber hing Schwester C. am Kreuz und konnte mir nichts mehr antun. Von ihren Handflächen tropfte das Blut. Ich wollte sie nackt sehen. Also riss ich ihr die Kutte vom Leib. Als ich ihre prallen Brüste, ihre gebärfreudigen Hüften und schließlich ihre angenagelten Füße betrachtete, erschrak ich für einen Moment. Irgendjemand hatte ein blitzendes langes Messer vor das stehende Kreuz gelegt. Ich starrte auf das Messer und sah ihr in die Augen. Angstvoll und mit zitternden Lippen starrte sie mich an. Dann passierte etwas sehr merkwürdiges. Ich hatte einen abgrundtiefen Hass gegen sie, Grund genug, ihr den Dolch in die Eingeweide zu stoßen. Dann aber regten sich mein Gewissen und unbeschreibliche Schuldgefühle.



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